Die kampflose Übergabe Güstrows im Jahre 1945
Dr. Ingo Sens
Am 2. Mai 1945 nahmen sowjetische Truppen, ohne auf Widerstand zu stoßen, die von Kampfverbänden der Wehrmacht verlassene mecklenburgische Stadt Güstrow ein. Nach Besetzung kam es nicht wie in anderen Städten Mecklenburgs (Friedland, Malchin, Neubrandenburg, Neustrelitz-Alt), Vorpommerns (Demmin) oder der Uckermark (Prenzlau) zu schweren Brandschatzungen, denen große Teile dieser Städte zum Opfer fielen. Güstrow blieb also unzerstört. Dies erreicht zu haben, weist die Geschichtserzählung einem deutschen Hauptmann a. D. und einer Ukrainerin zu, die es im Verlaufe des Zweiten Weltkriegs nach dorthin verschlagen hatte. Das bisherige Wissen um die kampflose Besetzung der Stadt beruht im Wesentlichen auf den Zeugnissen des ehemaligen deutschen Offiziers, die er zu Zeiten der DDR niedergeschrieben hat. Ein historiografischer Versuch aus dem Jahr 1965, die Umstände und den Ablauf der Besetzung Güstrows näher darzustellen, gründet ebenfalls in den genannten Selbstdarstellungen, ergänzt um einige später abgefasste Erinnerungsberichte. Nach 1990 machten mehrfach Zeitzeugen öffentlich auf Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten im zu DDR-Zeiten formulierten Bild aufmerksam. Der daraus erwachsene Klärungsbedarf hat die Stadt Güstrow veranlasst, der Rostocker Forschungs- und Dokumentationsstelle des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Geschichte der Diktaturen in Deutschland ein zweijähriges Forschungsprojekt zu übertragen. Ziel der Auftraggeber ist es dementsprechend, „in einer historischen Studie […] die Hintergründe der kampflosen Übergabe der Stadt [darzustellen] und [zu] analysier[en] […]. Wie vollzog sich der Einmarsch der sowjetischen Einheiten? Dabei steht auch das Verhältnis der Sowjetsoldaten zur Güstrower Zivilbevölkerung in den Tagen der Eroberung und den Wochen und Monaten danach im Mittelpunkt der Untersuchung. Wie wirkte sich die kampflose Übergabe der Stadt auf den beiderseitigen Umgang aus?“ (Aus der Beschlussvorlage der Stadtverwaltung vom 21. April 2017). Die Ergebnisse der Untersuchung sollen im Jahr 2020 anlässlich des 75. Jahrestages der sowjetischen Besetzung von Güstrow präsentiert werden.