Der Prozess

Die Angeklagten – düstere Geheimhaltung und seelische Grausamkeit

Gewalt und Terror waren nicht nur während der Ermittlungen und Verhöre, sondern auch in den Gerichtsprozessen, der Urteilsfindung und -vollstreckung ein Wesenszug der sowjetischen Justiz des Stalinismus. Dabei litten die Verhafteten zum einen unter der physischen Folter. Nicht weniger grausam waren zum anderen die seelischen Qualen, ausgelöst durch die repressive Geheimhaltung um die Inhaftierten, die zudem auch bewusst über das weitere Schicksal ihrer Familien im Unklaren gelassen wurden. Arno Esch und seine politischen Freunde verschwanden in dem Moment der Verhaftung im Oktober und November 1949 komplett aus der Öffentlichkeit. Die konspirativ, unter einem Vorwand oder nachts durchgeführten Festnahmen bekamen allenfalls der engste Familienkreis oder wenige Nachbarn mit. Von da an erhielten die Angehörigen trotz unzähliger verzweifelter Nachfragen bei den unterschiedlichsten DDR-Behörden, die zumeist selbst keine Informationen besaßen, für viele Jahre keine Nachricht über das weitere Schicksal. Dabei konnte zu intensives Nachfragen sehr gefährlich werden. So hatte sich Anne Wiese immer wieder nach dem Verbleib ihrer Kinder Alexandra, Ottfried und Friedrich-Franz erkundigt, bis sie letztlich selbst im Mai 1951 verhaftet und zu 25 Jahren Zwangsarbeitslager verurteilt wurde. Die von der Außenwelt komplett getrennten Häftlinge trugen ein unmenschliches Schicksal. Sie erfuhren keinen Zuspruch oder Trost durch Angehörige, waren den Verhöroffizieren und Tribunalen schutzlos ausgeliefert und blieben auch nach der Urteilsverkündung mit ihren seelischen Nöten und ihrer Verzweiflung alleine.   

Grundlagen sowjetischer Rechtsprechung

An dieser Stelle sei ausdrücklich festgestellt, dass niemand aus Eschs Freundeskreis eine Straftat begangen hatte. Selbst wenn dem so gewesen wäre, stünden das juristische Rückwirkungsverbot wie auch die Anwendung des mildesten Gesetzes (StGB § 2) einer harten Bestrafung entgegen, denn der Alliierte Kontrollrat hatte bereits im Herbst 1945 die Wiedereinführung rechtsstaatlicher Prinzipien beschlossen. Aus Sicht der sowjetischen Machthaber allerdings galt es, im Kampf der Systeme politische Gegner in den eroberten deutschen Gebieten auszuschalten. Dazu wurde die Anwendung des russischen Strafgesetzbuches auch auf das Gebiet der SBZ, der späteren DDR, ausgedehnt, wenngleich selbst in der Verfassung von 1949 die Auslieferung der eigenen Bürger an andere Staaten untersagt war.

Eingangsbereich des Moskauer Butyrka-Gefängnisses, in dem die zum Tode Verurteilten auf die Hinrichtung warteten, Foto von Galina Roslova, Mai 2021.

Für den Freundeskreis Esch wurde der berüchtigte, ideologisch verschwommen formulierte Artikel 58 des Strafgesetzbuches der RSFSR angewandt: 58.2 – bewaffneter Aufstand in konterrevolutionärer Absicht, 58.6 – Spionage, 58.10 – konterrevolutionäre Agitation und Propaganda, 58.11 – organisierte Tätigkeit oder Teilnahme an konterrevolutionären Verbrechen. Zum Zeitpunkt der Verhaftung im Herbst 1949 konnten auf der Grundlage dieses Artikels neben der Einziehung des Vermögens bis zu lebenslange Freiheitsstrafen ausgesprochen werden. Immerhin hatte das Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR im Mai 1947 die Umwandlung der Todesstrafe in eine 25-jährige Haftstrafe erlassen. Ganze drei Jahre wurden tatsächlich keine Hinrichtungen vollstreckt, dann allerdings am 12. Januar 1950 die Erschießungen als Höchststrafe erneut eingeführt. Die Prozessakten spiegeln die Verschärfung des sowjetischen Strafrechts und die unmittelbare Lebensgefahr, in die die inhaftierten Liberalen aus Mecklenburg-Vorpommern gerieten, eindrücklich wider, denn für Spionage und Hochverrat (Artikel 58.6) galt nun wieder die Todesstrafe.  

Ein „falscher“ Prozess und die Folgen

Insgesamt wurde die Fortdauer der Untersuchungshaft für Esch und seine Mitstreiter fünfmal verlängert, bis am 5. Mai 1950 der Abteilungsleiter des operativen Sektors des Landes Mecklenburg, Oberstleutnant Abramow, den Abschluss der Ermittlungen protokollierte (Blatt 100) und wenig später am 15. Mai die Anklageschrift (Blatt 114 ff.) vorlag. Viel entscheidender als die eigentlichen Gerichtsverfahren, an denen die Angeklagten immerhin teilnahmen, wenngleich sie zu keinem Zeitpunkt eine faire Verteidigungschance besaßen, waren die vorbereitenden Sitzungen. Am 24. Mai 1950 besprachen die sowjetischen Offiziere Guskow, Schatalow und Danilischin des Militärtribunals der Garnison der Stadt Schwerin den Ablauf des anstehenden Prozesses gegen den Freundeskreis um Arno Esch. Sie kamen zu der Entscheidung, dass aufgrund des Beschlusses des Plenums des Obersten Gerichts der UdSSR vom 14. April 1950, in dem der Erlass des Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR vom 12. Januar 1950 „über die Anwendung der Todesstrafe auf Vaterlandsverräter, Spione und Saboteure“ erörtert wurde, „für einige Angeklagten in dem vorliegenden Verfahren die Verhängung der Todesstrafe in Betracht kommt“ (Blatt 148). Daher wurde das Verfahren an das Sowjetische Militärtribunal (SMT) 48240 in Berlin übergeben, das wiederum in einer vorbereitenden Sitzung am 13. Juni 1950 die Nichtöffentlichkeit der Gerichtsverhandlung ohne Teilnahme der Staatsanwaltschaft, einer Verteidigung und von Zeugen festlegte. Damit waren die Schicksale von Esch, Blankenburg, Puchstein, Neujahr, Wiese, Posnansky, Kiekbusch, Krumm, Behrendt, Kuhrmann, Groth, Mehl, Neitmann und Lamprecht im Wesentlichen entschieden.

Sitz des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR, Foto von Galina Roslova, Mai 2021.

Warum der Prozess am 18. bis 20. Juli 1950 am Militärtribunal der Garnison der Stadt Schwerin (Blatt 166) stattfand und nicht wie beschlossen am SMT 48240, bleibt im Dunkeln. Der Einspruch (Blatt 265 f.) des stellvertretenden Generalstaatsanwalts der UdSSR, Generalleutnant der Justiz Wawilow, beanstandete zum einen die fehlende Zuständigkeit des Gerichtes in Schwerin und zum anderen die viel zu milden Urteile gegen Posnansky, Kiekbusch und Lamprecht. Am 18. September 1950 (Blatt 287 f.) hob das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR das Urteil auf und verwies die Sache an das SMT 48240.

Nach der Urteilsverkündung am 20. Juli 1950 kamen die zum Tode verurteilten Esch, Blankenburg, Puchstein und Neujahr in die Transportzelle im Keller des Schweriner Demmlerplatzes. Die anderen wurden auf eine größere Gemeinschaftszelle gebracht und hatten nun die Möglichkeit, sich überhaupt erst einmal kennenzulernen. Friedrich-Franz Wiese beispielsweise hatte vor der Verhaftung lediglich zu Arno Esch und Karl-Heinz Krumm persönlichen Kontakt (Wiese: Zum Tode verurteilt!, S. 71). Klaus Lamprecht wurde wenig später ebenfalls mit den zum Tode Verurteilten nach Moskau transportiert.

Vom 22. bis 23. November fand der zweite Prozess gegen die in Deutschland Verbliebenen am SMT 48240 in Berlin statt und endete mit weiteren Todesurteilen gegen Wiese, Posnansky und Kiekbusch (Blatt 302 ff.). Im letzten Verfahren in Moskau vom 25. bis 26. Mai 1951 (Blatt 370 ff.) wurden Esch, Blankenburg und Puchstein erneut zum Tode verurteilt. Neujahr war erkrankt und verstarb wenig später in der Haft. Allein Klaus Lamprecht hatte Glück im Unglück und wurde in beiden Prozessen mit 25 Jahren Gulag bestraft.

Sitz des ehemaligen SMT in Moskau, Foto von Galina Roslova, Mai 2021.

Die Protokolle der Vernehmungen und Gerichtsverhandlungen wie auch das Gnadengesuch verdeutlichen die Standhaftigkeit und den Mut von Arno Esch. Er nahm nicht nur die Schuld auf sich, sondern versuchte auch seine Mitstreiter zu entlasten, was ihm im Fall von Friedrich-Franz Wiese gelang. Wenngleich er in der Einsamkeit seiner Zelle sicherlich auch sehr schwache Momente hatte, verlor er vor Gericht nicht die Nerven und versuchte mit sachlichen Argumenten, die konstruierten Vorwürfe zu entkräften. In seinem Schlussplädoyer vor dem Moskauer Gericht erbat Arno Esch für den Fall eines Todesurteils, „auf die Vollstreckung […] nicht mehr als 10 Monate warten“ zu müssen (Blatt 421). Zwei Monate später, am 24. Juli 1951, wurde Arno Esch im Butyrka-Gefängnis erschossen.

Faksimile Gegenüberstellung Esch/Wiese

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Faksimile Band 5, Teil 1

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